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Märchen – Fairy tales

Für mich sind Märchen nicht nur die schönsten, sondern auch die spannendsten und lehrreichsten Erzählungen überhaupt.

Schön sind sie selbstverständlich, weil sie zum Träumen einladen. Das garantierte Happy-End sichert uns von Anfang an ein warmes pochendes Herz. Niemals müssen wir ernsthaft Sorge haben, unser Held oder unsere Heldin würde sterben oder einem anderen tragischen Schicksal zum Opfer fallen. Seit dem ersten Satz freuen wir uns auf das glückliche Ende. Es ist ungemein schön, in diese Welt einzutauchen und für eine kurze Zeit den Alltag zu vergessen.

Egal wie viele böse Stiefmütter, Hexen, Riesen oder Räuber es auf dem Weg dorthin gibt, das Ergebnis, meistens die Hochzeit, steht fest. Diese Sicherheit lädt uns ein, alle eigenen Ängste vorübergehend abzulegen und uns einer kindlich-naiven Freude hinzugeben, die wir Erwachsene oft verlernt oder tief vergraben haben. Doch jeder Mensch versteckt irgendwo in seinem Herzen die Sehnsucht nach einer sorgenfreien Zukunft, in der uns der Partner/ die Partnerin bedingungslos liebt. Mehr noch, mein Prinz ist bereit, für mich Todesqualen zu erleiden oder die schwersten Prüfungen zu bestehen! Wer wünscht sich nicht eine solche Hingabe, eine vollständige Akzeptanz seiner Selbst?

Die „kluge Bauerntochter“ wird zur Königin, der „einfache Soldat“ zum König und so weiter. Jeder kann sich mit irgendeiner Märchenfigur identifizieren und seinem Unterbewusstsein die Botschaft schicken: Sieh’, das könnte auch ich sein, das traurige von der Stiefmutter verstoßene Mädchen. Ich muss nur durchhalten und werde am Ende von meinem Prinzen erlöst. Keine andere Erzählform gibt so viel Hoffnung.

Gerade das Märchen erlaubt diese Identifikation, weil seine Figuren im Unterschied zur Sage in der Regel keinen konkreten Bezug zu historischen Begebenheiten haben. Dadurch fördert es die vollständige Übernahme der Hauptperson ins eigene Unbewusste.

Dazu kommt als weiterer Aspekt der Schönheit die bezaubernde Kulisse mit imposantem Schloss, traumhaften Kleidern und Reichtum; kurz das Paradies auf Erden. Insbesondere bei Verfilmungen erhält dieser Part seinen faszinierenden Reiz. Natürlich achten die Regisseure auf eine bilderbuchhafte Landschaft mit singenden Vögeln, blühenden Wiesen et cetera.

Sicher scheint diese Darstellung vor Kitsch nur so zu triefen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass das Märchen dabei im Unterschied zum Schnulzenroman gewinnt. Gerade weil wir selbstverständlich wissen, niemand schläft einhundert Jahre oder wird durch einen Kuss vom Frosch zum Menschen verwandelt, verfallen wir nicht in die Versuchung, die Handlung als real zu betrachten. Deshalb darf sie alles ungestraft, auch die vermeintlich überzogene Idylle.

Wieso sollte eine Geschichte spannend sein, bei der bereits am Anfang das Ende feststeht? Ich behaupte, vielleicht sogar deshalb: Da wir nicht um das Leben unseres Helden bangen müssen, konzentrieren wir uns auf die eigentliche Handlung. Schließlich ist im Märchen weniger die Hochzeit spannend, als vielmehr der Weg dorthin. Welche Prüfungen müssen bestanden werden, wie viele böse Wesen bekämpft und welchen Gefahren wird der Prinz ausgesetzt, bis sein Herzenswunsch sich erfüllt?

Einige Beispiele: „Schneewittchen“ ist natürlich der Klassiker schlechthin. Die Königin verliert ihre jugendliche Schönheit und wird zur reifen Frau. Mit Falten und grauen Haaren kann sie mit dem Liebreiz des heranwachsenden Töchterchens nicht mithalten. Da selbstverständlich die leibliche Mutter im Märchen niemals schlecht sein darf, muss die Figur der Stiefmutter daher. In dieser Rolle können sich vermutlich die meisten pubertierenden Mädchen wiederfinden. Die Tatsache an sich ist banal. Spannend ist, wie gehen die konkurrierenden Frauen damit um?

Auch „Dornröschen“ zeigt jungen Mädchen einen Weg in die Welt der Erwachsenen: Sie ist der überbehütete Schatz von Mama und Papa, das Einzelkind, die Prinzessin, auf die das Königspaar so lange gewartet hat. Doch irgendwann muss sie aus dieser Rolle ausbrechen. Sie wird sich an einer Spindel stechen und bluten, auch wenn ihr Vater alle Spinnräder im Land verboten hat. Mit fünfzehn Jahren reift Dornröschen zur Frau: sie blutet! Es bedarf eines läuternden Schlafes, bis der richtige Mann kommt, um sie wach zu küssen, übersetzt zu entjungfern.

Etwas brutaler beschreibt die Erzählung vom „Rotkäppchen“ diesen Hergang: Das Mädchen mit der erotisch roten Mütze wird vom bösen Wolf aufgelauert. Dieser ist niemand anderes als der Vergewaltiger, der zuerst die Großmutter und danach die Enkelin vernascht. Wie viele Kinder werden von Vätern, Onkeln oder … missbraucht? Bei diesem Märchenklassiker dürfte die Identifkationsrate ebenso hoch sein. Und wie im wirklichen Leben erscheint die Hilfe zu spät, die Damen sind verspeist, die Tat vollbracht; dennoch vermittelt die Geschichte Hoffnung auf ein gutes Ende: Es gibt auch gute Männer wie den Jäger, der sie rettet und den Wolf bestraft.

Auch für Jungen bieten Märchen spannende Personen: Im „gestiefelten Kater“ erhält der Jüngste nur noch das miauende Tier zum Erbe, während seinen älteren Brüdern die Mühle und andere Besitztümer vermacht werden. Das dürfte in Zeiten kinderreicher Familien absolut aus dem Leben gegriffen sein. Mit Spannung verfolgen wir, wie der Kater dem armen Müllerssohn hilft, letztendlich die Prinzessin zu heiraten.

Das gleiche Thema findet man in den „drei Federn“. Auch hier ist es der jüngste und vermeintlich dümmste von drei Brüdern, der sogenannte Dümmling, der schließlich den Thron des Vaters besteigt, noch dazu mit einer schönen Braut an seiner Seite.

Eine andere interessante Lektion darf der Held aus „Hänsel und Gretel“ lernen. Die Konstellation des großen Bruders, der seine kleine Schwester beschützt und mittels Kieselsteinen wieder sicher nach Hause führt, dürfte für viele Jungen eine leicht wiederzuerkennende Szene darstellen. Im Knusperhaus allerdings vertauschen sich die Rollen und die bisher ihrem Geschwister untergeordnete Gretel wird zur Heldin der Geschichte. In der Tat ist sie es, die die Hexe in den Ofen stößt und Hänsel befreit. Im übertragenen Sinn ist dieses Märchen der Wegbereiter für die Emanzipation der Frauen schlechthin!

Die Liste ließe sich seitenlang fortführen und ich kann nur wiederholen, wie spannend ich den Umgang der Figuren mit scheinbar unlösbaren Herausforderungen des Lebens finde.

Gleichzeitig empfinde ich sie als außerordentlich lehrreich. In vielen Erzählungen erfahren die Hauptpersonen unerwartete Hilfe von Feen, Tieren oder sonstigen unerklärlichen Wesen. Was auf den ersten Blick wie reine Phantasie erscheint, entpuppt sich bei genauerem Betrachten als klarer Wegweiser für das Bestehen in der Welt der Erwachsenen. Wie ein roter Faden zieht sich ein und dasselbe Thema durch die meisten Geschichten: Die Helden stehen vor weitreichenden Entscheidungen, ihre Zukunft betreffend. Oft wissen sie nicht einmal um die Tragweite ihrer folgenden Handlung. Jeder Mensch kennt solche Situationen, insbesondere Kinder und Jugendliche. Die Märchen lehren uns, dass grundsätzlich derjenige erfolgreich ist, der mit dem Herzen handelt.

Die „Goldene Gans“ bekommt der Jüngling nur geschenkt, weil er dem alten Mann von seinem Essen abgibt; „Schneeweißchen und Rosenrot“ retten dem Prinzen das Leben, indem sie ihn liebevoll als verzauberten Bären vor den Jägern schützen; im „Sterntaler“ verschenkt das Mädchen alles, was ihm lieb ist, zuerst die Puppe und dann die Kette, rettet außerdem den Hund und wird erst danach reich beschenkt; auch bei „Frau Holle“ müssen zunächst der Apfelbaum geschüttelt und das Brot aus dem Ofen geholt werden, bevor es die Belohnung gibt. Wichtig dabei ist, dass die Helden im Moment der Herzenstat nicht um dessen Tragweite wissen und sie einfach tun. Ich behaupte, niemand kann Menschen, vor allem Heranwachsenden, derart ergreifenden Unterricht erteilen wie diese Märchen.

Sie lehren uns, die Herausforderungen des Lebens können noch so schwer sein, wenn ich mich mit ganzem Herzen auf den Weg mache, ist so ziemlich alles möglich. Niemand behauptet, das glückliche Ende sei selbstverständlich. Meistens sind drei Prüfungen zu bestehen, die es in sich haben. Wer traut sich schon zu, dem „Teufel seine drei goldenen Haare“ zu stehlen oder sechs Jahre lang zu schweigen, wie in den „Sechs Schwänen“?  Auch die glückliche Wende geschieht oft auf ganz anderen Wegen, als die Märchenfiguren und damit wir denken.

„Aschenputtel“ will auf den Ball beim Prinzen und soll dafür hart arbeiten. Doch als sie vermeintlich die Bedingung erfüllt hat, wirft die Stiefmutter noch die Linsen in die Asche. Nun bekommt sie Unterstützung von den Tauben, um die versprochene Eintrittskarte zum Schloss zu erhalten. Eigentlich ist es egal, ob sie die Arbeiten erledigt oder nicht, die Stiefmutter wird ihr in jedem Fall die Fahrt verbieten. Wozu also der Aufwand? Die Situation scheint hoffnungslos, ein passendes Kleid hat sie ohnehin nicht. Erst als sie weinend am Grab ihrer Mutter verzweifelt, tritt der unerklärliche Zauber in Kraft. Warum eigentlich nicht gleich, könnte man sich fragen? Doch die Erzählung lehrt uns: Zuerst alle Aufgaben erledigen. Dann geschieht garantiert ein Wunder, wenn auch ganz anders, als erwartet!

Niemand weiß, wann und in welcher Form dieses Phänomen eintritt, doch die Märchen ermuntern auf grandiose Weise, unseren Herzen treu zu bleiben, uns alle noch so schweren Herausforderungen zuzutrauen und an eine höhere gerechte Macht zu glauben.

Fairy tales

For me, fairy tales are not only the most beautiful, but also the most exciting and instructive stories ever.

They are beautiful, of course, because they invite you to dream. The guaranteed happy ending ensures us a warm beating heart right from the start. We never have to worry seriously that our hero or heroine will die or fall victim to some other tragic fate. Since the first movement, we have been looking forward to the happy ending. It is immensely nice to immerse yourself in this world and forget everyday life for a short time.

No matter how many evil stepmothers, witches, giants or robbers there are on the way there, the result, usually the wedding, is certain. This security invites us to temporarily put aside all our own fears and indulge in a childishly naïve joy that we adults have often forgotten or buried deeply. But every person hides somewhere in his heart the longing for a carefree future in which the partner loves us unconditionally. Moreover, my prince is ready to suffer agony for me or to pass the most difficult trials! Who does not want such devotion, a complete acceptance of himself?

The “clever farmer’s daughter” becomes the queen, the “simple soldier” becomes the king, and so on. Anyone can identify with any fairytale character and send the message to their subconscious: Look, that could be me too, the sad girl rejected by her stepmother. I just have to persevere and in the end I will be redeemed by my prince. No other narrative form gives so much hope.

Especially the fairy tale allows this identification, because, in contrast to the legend, its characters usually have no concrete reference to historical events. In this way, it promotes the complete transfer of the main character into one’s own unconscious.

In addition, as a further aspect of beauty, there is the enchanting scenery with imposing castle, dreamlike clothes and wealth; in short, paradise on earth. Especially in film adaptations, this part gets its fascinating charm. Of course, the directors pay attention to a picture-perfect landscape with singing birds, flowering meadows, etc.

Of course, this depiction seems to be dripping with kitsch, but I am firmly convinced that the fairy tale wins in contrast to the snarky novel. Precisely because we know, of course, that no one sleeps for a hundred years or is transformed from frog to man by a kiss, we do not fall into the temptation to regard the action as real. That’s why she is allowed to do everything with impunity, even the supposedly exaggerated idyll.

Why should a story be exciting if the end is already fixed at the beginning? I maintain, maybe even because we don’t have to worry about the life of our hero, we concentrate on the actual plot. After all, in fairy tales it is not so much the wedding that is exciting, but rather the way there. What tests must be passed, how many evil beings must be fought, and what dangers will the prince face until his heart’s desire is fulfilled?

Some examples: “Snow White” is of course the classic par excellence. The queen loses her youthful beauty and becomes a mature woman. With wrinkles and grey hair, she cannot keep up with the charm of her growing daughter. Since, of course, the biological mother in fairy tales must never be bad, the figure of the stepmother must therefore be. Most pubescent girls can probably find themselves in this role. The fact itself is banal. It is exciting how do the competing women deal with it?

“Sleeping Beauty” also shows young girls a way into the world of adults: she is the overprotected treasure of mom and dad, the only child, the princess for whom the royal couple has waited so long. But at some point she has to break out of this role. She will stab herself on a spindle and bleed, even though her father has banned all spinning wheels in the country. At the age of fifteen, Sleeping Beauty matures into a woman: she bleeds! It takes a purifying sleep until the right man comes to kiss her awake, translated to deflower.

The story of “Little Red Riding Hood” describes this process somewhat more brutally: The girl with the erotic red cap is ambushed by the bad wolf. He is none other than the rapist who eats first the grandmother and then the granddaughter. How many children are cared for by fathers, uncles or … abused? In this fairy tale classic, the identification rate should be just as high. And as in real life, the help seems too late, the ladies are eaten, the deed done; nevertheless, the story gives hope for a good ending: there are also good men like the hunter who saves them and punishes the wolf.

Fairy tales also offer exciting people for boys: In Puss in Boots, the youngest only receives the meowing animal as an inheritance, while his older brothers are bequeathed the mill and other possessions. In times of large families, this should be absolutely taken from life. We watch with excitement how the cat helps the poor miller’s son to finally marry the princess.

The same theme can be found in the “three feathers”. Here, too, it is the youngest and supposedly stupidest of three brothers, the so-called Dümmling, who finally ascends the throne of his father, with a beautiful bride at his side.

Another interesting lesson the hero from “Hansel and Gretel” may learn. The constellation of the big brother, who protects his little sister and leads her home safely by means of pebbles, should be an easily recognizable scene for many boys. In the Knusperhaus, however, the roles are reversed and Gretel, who was previously subordinate to her sibling, becomes the heroine of the story. In fact, it is she who pushes the witch into the oven and frees Hansel. In a figurative sense, this fairy tale paves the way for the emancipation of women par excellence!

The list could be continued for pages and I can only repeat how exciting I find the characters dealing with seemingly unsolvable challenges of life.

 

At the same time, I find it extraordinarily instructive. In many stories, the main characters receive unexpected help from fairies, animals or other inexplicable beings. What at first glance seems like pure fantasy turns out to be a clear signpost for survival in the adult world on closer inspection. Like a red thread, one and the same theme runs through most stories: The heroes are faced with far-reaching decisions regarding their future. Often they do not even know the significance of their subsequent action. Everyone knows such situations, especially children and adolescents. Fairy tales teach us that, in principle, those who act with the heart are successful.

Fairy tales teach us that, in principle, those who act with the heart are successful.

The “Golden Goose” is only given to the young man because he gives the old man his food; “Snow White and Rose Red” save the prince’s life by lovingly protecting him from the hunters as an enchanted bear; in the “Sterntaler” the girl gives away everything that is dear to her, first the doll and then the chain, also saves the dog and is only then richly gifted; even with “Frau Holle” the apple tree must first be shaken and the bread taken out of the oven before there is the reward. It is important that the heroes do not know about its significance at the moment of the heart act and simply do it. I maintain that no one can teach people, especially adolescents, such a poignant lesson as these fairy tales.

They teach us that life’s challenges can be so hard, if I set out with all my heart, pretty much anything is possible. No one claims that the happy ending can be taken for granted. In most cases, there are three exams to pass, which have it all. Who dares to steal the “devil’s three golden hairs” or to remain silent for six years, as in the “Six Swans”?  Even the happy turn often happens in completely different ways than the fairytale characters and thus we think.

“Cinderella” wants to go to the ball with the prince and is supposed to work hard for it. But when she has supposedly fulfilled the condition, the stepmother throws the lentils into the ashes. Now she gets support from the pigeons to get the promised ticket to the castle.

Actually, it doesn’t matter if she does the work or not, the stepmother will forbid her to drive in any case. So why the effort? The situation seems hopeless, she doesn’t have a suitable dress anyway. Only when she despairs, crying at her mother’s grave, does the inexplicable spell come into effect. Why not right away, you might ask? But the story teaches us: Do all the tasks first. Then a miracle is guaranteed to happen, albeit very differently than expected!

No one knows when and in what form this phenomenon will occur, but the fairy tales terribly encourage us to remain true to our hearts, to trust us to face even the most difficult challenges and to believe in a higher just power.